Friedolinchen

Hallo! Mein Name ist Friedolinchen, zumindest haben sie mich so genannt.
Ich wohnte bis heute auf einem grünen Balkon in München.
Vor zwei Wochen, während meines Abendspazierganges, hörte ich die Dame, die in meinem Haus wohnt, leicht fiepsen, und der Herr der mit ihr wohnt wurde gerufen.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ich ihre Angst roch. Und ich hatte mich gefragt, wieso dies eigentlich so sei.
Er nahm den Wasserstrahler, mit dem sie normalerweise ihre schönen Pflanzen gießen (ich weiß dies, weil ich sie dabei öfter mal beobachtet haben, aus irgend einem Winkel des Balkons, meistens von oben, denn von da kann man ganz schön gut sehen) und richtete das Ding in meiner Richtung. Obwohl es soo warm draußen war, mag ich Wasser normalerweise nicht so, also habe ich versucht mich zu beeilen und mich in Sicherheit zu bringen. Er wollte doch sicherlich nur wieder mal die Pflanzen gießen, weil es wie gesagt sehr heiß war. Das hatte er aber an dem Abend schon ganz schön lange gemacht! Vielleicht haben die Pflanzen besonders viel gebraucht. Wer weiß…
So, das war wie gesagt vor ein paar Wochen.
Heute Nacht war mir zu kalt, und da die Balkontür offen war habe ich mir gedacht, dass ich mich mal in die Wohnung trauen kann. Dort müsste es doch viel wärmer sein, und meine armen Beinchen waren fast taub vor Kälte… So habe ich mich gewagt, und tatsächlich - drinnen war es deutlich wärmer. Ich habe auch die Gießkanne entdeckt die oft auf dem Balkon steht und dachte mir, dass eine bekannte Sache doch viel besser zum Schlafen geeignet sei als komische, unbekannte Wände. Also habe ich es mir in der Kanne kuschelig gemacht und bin eingeschlafen.
Irgendwann mal hat mich ein Beben geweckt. Ich dachte die Welt fängt an sich zu bewegen. Ich habe schon mal von Freunden gehört, die es von Freunden gehört hatten, dass es so was wie Erdbeben gäbe, aber wohl doch nicht in München. Wie auch immer, ich habe panische Angst bekommen und fiel in Ohnmacht, mit dem bekannten Fiepsen der Dame in den Ohren, die mich wohl in der Kanne entdeckt hatte.
Nach ein paar Minuten konnte ich wieder zu mir finden und sah die Dame vorsichtig über die Gießkanne gebäugt, mich beäugend. Sie hatte auch zwei komische Sachen in der Hand: eine komische Kralle und etwas für mich Unerklärliches, Quadratisches, das sie ständig mit ihren Fingern anstubste.
Ich hatte wieder das Gefühl, dass ich ihre Angst riechen könnte. Ich weiß es ja besser, aber bei ihr hatte ich wieder eindeutig das Gefühl, dass sie mich nicht so gern hat. Dabei mag ich sowohl sie als auch ihn sehr gerne. Die Pflanzen auf dem Balkon verbergen so viel Futter und Spielraum, es ist einfach toll. Die anderen Balkone sind kahl und irgendwie nicht so einladend, aber bei denen ist das Super!
So kam ich zu mir, und dachte, wenn sie mich nicht mag dann kann ich vielleicht auch wieder gehen. Also versuchte ich aus der Kanne rauszukrabbeln. Allerdings gelang mir das nicht so gut, denn die Wände waren rutschig und ich konnte mich mit meinen Beinen nicht daran festhalten. Alles was ich probiert hatte funktionierte nicht, nach ein paar Schritten fiel ich immer wieder rein. Und noch dazu merkte ich, dass die Dame noch hektischer und gestresster wurde. Ohje, ohje, ohje, sie mag mich tatsächlich nicht, ich muss mich beeilen, hier weg zu kommen. Vielleicht bringt das Springen was, und ich kann mich dadurch irgendwie an die Wände der Kanne hängen. Aber es schien so als ob meine Sprünge die Dame noch wütender machten. Sie kam mit der Kralle in der Hand immer näher an die Kanne, und ich dachte schon, sie würde mir was antun. Ich fiel wieder auf den Boden der Kanne und in Ohnmacht. Als ich wieder zu mir fand, bemerkte ich, dass die Kanne mit mir auf dem Balkon war. Also wollte sie mir tatsächlich sagen, dass ich nicht willkommen bin.
Ohje, Friedolinchen, das ist aber richtig eindeutig, sie mag dich nicht und du sollst weg. Ach wenn ich doch nur hier raus krabbeln könnte…
Jedesmal wenn ich etwas versuchte, kam das Erdbeben, und das ging eine halbe Ewigkeit so. Die Dame war in der Nähe und die Kralle und das andere komische Ding auch, und ich konnte nicht aus der doofen Kanne. Ich verstehe schon, wenn ich nicht erwünscht bin!
Oh da geschah plötzlich wieder etwas, irgendwie bewegte sich die Kanne - und die Gegend über mir auch. Scheinbar werde ich mit der Kanne weggetragen. Ich bin tatsächlich nicht erwünscht!
Was haben sie mit mir vor?
Wo bringen sie mich hin?
Wieso lieben sie mich nicht?
Ich wollte doch nur etwas Wärme in der Nacht!
Ach eine Wiese, schööön! Eine hübsche grüne Wiese mit Büschen! Ja, hier ist es auch eine gute Möglichkeit zu Hausen, und da in der Ecke sehe ich Frieda! Ach toll.