Schreibblokade

„Autobiographisch? Autobiographie? Nein, das wird es wohl nicht sein“ sagte Sie sich während er ihr weitere Fragen stellte und sie diese beantwortete. Als sie das Gebäude betrat, das kalte grün an den Wänden sah und durch die langen, dunklen Flure ging, konnte Sie nur an das Buch denken. Sie konnte sich schon immer nur um ihr eigenen Kram kümmern. Sie war aber gezwungen dem Körper und der zweiten Seele zu folgen, weil sie eben verbunden waren. Sie waren ein Ganzes. Allerdings sah Sie sich nicht als Teil der anderen, des Körpers und der anderen Seele. Sie war mit sich selbst beschäftigt, dachte nur ans Schreiben, an das was sein und was man verwirklichen könnte.
„Nein, keine Autobiographie, das geht wohl nicht. Sie würde es nicht erlauben, ich kenne sie. Das kann ich ihr auch nicht antun. So verletzlich wie sie immer ist“, sagte Sie sich wieder.
„Wann haben Sie sie das letzte mal gesehen?“ erklang die kalte Stimme des Polizeibeamten und für eine Sekunde vergass Sie ihr Gedankengang und wurde aufmerksam. Die Antwort kam sofort:
„Es muss neun oder zehn Jahre her sein.“ Ihre Stimme war gebrochen und kraftlos.
„Genau das meine ich, ich darf sie nicht noch mehr verletzten, sie würde sich nie wieder erholen. Ich muss einen Weg für uns alle finden!“


*

Miyu saß vor Anna und Elena in der Küche am Tisch.
„Also, falls er wieder auftaucht wisst ihr Bescheid“, sagte sie mit leiser Stimme.
„Ja, du bist nicht da“, sagte Elena trocken, „das werden wir ihm sagen“.
„Danke.“
Und das war es damals. Elena war der Meinung Miyu hätte ihn benutzt, um ein bisschen Spaß zu haben. Sie war zweiundzwanzig, er vierzig. Sie war Architekturstudentin, über ihn wusste man nicht soviel. Er hatte wohl Geld. Sie brauchte das Geld nicht unbedingt, aber es gefiel ihr, dass sich jemand so um sie kümmerte, deswegen sagte sie nicht nein.
Mit der Zeit allerdings war er ihr wohl zuviel geworden und Miyu wollte sich nicht mehr mit ihm treffen, so lies sie ihn oft in der Küche warten. Alle konnten das miterleben.
„Du solltest ihm doch endlich mal sagen, dass du keine Interesse hast. So langsam nervt er schon, er ist immer hier in der Küche. Wir können nichts tun, ohne dass er da ist!“, sagte Elena ihr einmal genervt.
Sie tat es. Aber die Sache wurde nur noch schlimmer. Er kam sie weiterhin suchen.
Eines Tages, spät am Abend, als Anna nach einem langen Tag nach Hause kam und sich schnell eine Tütensuppe machen wollte, fand sie ihn dort in der Küche im Dunkel sitzen. Er sah aus wie ein Geist. Hatte er geweint, war er nur müde? Das konnte sie nicht sagen. Er sah sie mit einer finsteren Miene an, als sie das Licht anmachte.
„Weisst du, wo sie ist?“
„Nein weiss ich nicht“, antwortete Anna.
„Ich werde sie finden, sage ihr das. Ich werde sie zwingen mit mir zu reden!“
„Gut, das werde ich ihr sagen, versprochen“, sagte Anna schnell, drehte sich weg und ging in ihr Zimmer.
Danach sah sie ihn lange nicht mehr.
Später, als sie Miyu danach fragte, sagte diese alles sei in Ordnung und dass er alles akzeptiert und versprochen hätte sie alle nicht mehr zu stören.
Als Miyu vor Anna und Elena saß, wusste Anna was sie sagen wollte noch bevor sie anfing.
Er kam noch ein paar mal vorbei. Sie sah ihn einmal, er sagte zu ihr nichts. Aber die anderen sagten, dass er hin und wieder vorbei schaute. Dann kam er nicht mehr und wurde vergessen. Miyu hatte ihr Studium abgeschlossen und angefangen in einem Büro in der Stadt zu arbeiten. Mehr wusste Anna über sie nicht. Der Kontakt zu ihr bestand nicht weiter.


*

„Ich hätte ihr damals sagen sollen, dass der Typ für Nichts gut ist. Ich hatte es fast gerochen! Jetzt stehen wir alle hier, erinnern uns zwar kaum an dieser Frau, aber dennoch stehen wir hier. Am Grab einer fast Unbekannten! Nicht mal eine spannende Geschichte! Nur das alte Schema. Zeitverschwendung!“ Sie war in den letzten Tagen so gereizt, nichts stellte Sie zufrieden, nichtmal diese Geschichte. Klar, es war nichts Neues, aber Sie hätte doch etwas daraus machen können. Selber etwas dazu erfinden, aufs Papier zu bringen. Aber nein. Sie fing immer an und löschte es wieder sofort. Wenn Sie den Körper überhaupt dazu bringen konnte zu schreiben.
Nun schaute Sie Anna zu: „Sie ist wieder schwächer geworden. Gerade als ich dachte, sie wird wieder! Und dieser Regen, er macht alles unerträglich!“
Natürlich konnte Sie selbst die Hitze und die Feuchtigkeit nicht spüren, aber Sie hasste die Gefühle, die an solchen Tagen entstanden. Anna musste gehalten werde. Sie weinte nicht, sie konnte ja nicht, sie hatte die Dame vor einer halben Ewigkeit gekannt. Mit den anderen hatte sie noch gelegentlich Kontakt gehabt aber mit ihr nicht.
„Aus diesem Loch kriege ich sie womöglich nie wieder! Verdammt, ich habe so schwer daran gearbeitet sie zu stärken!“, dachte Sie sich frustriert.


*