Es ist nicht schwer keinen Fernseher zu haben, schwer ist es zu lernen damit umzugehen und damit zu leben

Andreas ist fast vier Jahre alt. Er sieht wie vier aus und verhält sich auch so. Wir sind zu Besuch in einem Haushalt ohne Fernseher. Abendessen wird vorbereitet. Wir wurden nach möglichen Allergien, nach dem was wir mögen und nach dem was wir nicht mögen gefragt, sehr zuvorkommend und nett. Wir spielen während dessen mit Andreas. Ein helles Kind. Rennt aktiv durch die Gegend, versteckt sich, bastelt uns aus den Legosteinen eine Brücke und lächelt dabei die ganze Zeit. Es ist Essenszeit. Alles steht auf und geht zu Tisch. Schnell noch die Wasserkaraffe holen, dann wären wir soweit, hören wir. Der Vater geht sie holen, während die Mutter dem Kind auf seinen Stuhl hilft. Der Vater kehrt zurück, aber er hat nicht nur die Karaffe dabei sondern auch ein Tablet, das Andreas vor die Nase gestellt wird, sogar mit Ladekabel, da die Batterie leer ist. Ich lächle und versuche mein Bestes nicht zu lachen. Meine Begleitung schaut mich an. Ob er mir was sagen möchte, kann ich nicht sagen, da ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin um nicht zu lachen. Das hört sich gemein an, aber es ist nicht unser erster Besuch in einem Haushalt ohne Fernseher, wohl aber in einem ohne Fernseher in dem das Kind beim Essen am Tisch ein Tablet braucht.
Seit Jahren höre ich von Freunden, Bekannten und auch oft von Fremden: Wir besitzen keinen Fernseher! Wir wollen unsere Kinder ohne Fernseher und ohne elektronischen Geräte erziehen.
Gut. Wir fangen alle an zu essen. Alles sehr lecker und liebevoll zubereitet. Dabei muss ich mich wieder zusammenreißen. Andreas steht auf seinem Stuhl, die Hände auf dem Schoß überkreuzt, und lässt sich von seiner Mutter füttern, die sich um sich selbst und um ihn kümmern muss.
Ich versuche mit Mühe mir meine Irritation nicht anmerken zu lassen. Meine Begleitung versucht, sich mit dem Vater zu unterhalten, selber sichtlich amüsiert.
Die Mutter versucht sich zu rechtfertigen indem sie mir sagt er würde sonst durch das Haus rennen, und sie hinterher. Das aktive Kind von vorher wirkt apathisch, schaut auf das Tablet und lässt sich wie ein achtmonatiges Kind füttern.
Ich überlege mir die ganze Zeit, wie es wohl dazu gekommen ist und ob ich als Nichtmutter verrückt bin, der Meinung zu sein, dass ein vierjähriges Kind selber essen sollen könnte.
Hatte das mit der Tatsache zu tun, dass sie ohne Fernseher leben? Keine Ahnung.

Anderer Ort, andere Situation. Wir haben Freunde bei uns zur Besuch. Wir haben einen Fernseher. Sie haben eine Tochter, die auch ohne einen Fernseher erzogen wird. Als sie damals als Zweijährige in unser Wohnzimmer ging fragte sie, was das große Ding im Regal ist. Ich, die eigentlich wusste wie sie erzogen wird, reagierte damals viel zu spät und der Fernseher wurde angemacht um ihr zu zeigen, was das für ein Ding ist. Den Rest des Abends - und auch an späteren Abenden - wurde versucht das begeisterte und sehr überraschte Kind vom Fernseher weg zu reisen.

Wir besitzen wie schon gesagt einen Fernseher. Schon immer. In meiner Kindheit gab es immer einen Fernseher, in seiner auch. Keinem von uns hat es geschadet, allerdings wussten unseren Eltern scheinbar, wie sie damit umgehen sollen.
Der Fernseher, der Computer sowie das Handy sind heutzutage ein Stück unserer Realität. Man kann nicht ohne sie. Sich zu weigern, solche Geräte im Haushalt zu haben, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber früher oder später wird ein Kind damit konfrontiert. Ist es nicht besser, selber zu entscheiden wie, wann und wieviel? Ist es nicht besser für ein Kind, wenn es solche Geräte als alltäglich ansieht? Essen, Hausaufgaben machen und dann eine halbe oder eine Stunde fernsehen, hieß es bei uns immer, und es hat funktioniert. Wir kleben nicht an dem Ding wie Blutegel. Wir schauen uns auch nicht jeden Scheiß an, aber wir haben die Möglichkeit gehabt, das alles zu erleben und zu lernen. Keinen Fernseher zu haben ist meiner Meinung nach leicht. Zu lernen mit einem, oder mit Medien allgemein, zu leben ist das, was schwer ist.

Ob man einen Fernseher besitzen möchte oder nicht ist wiederum eine individuelle Entscheidung. Natürlich entscheiden Eltern für ihre Kinder, aber sollte man als Eltern seine Kinder nicht auf die Zukunft, aufs Leben vorbereiten? Dazu gehören nunmal solche Sachen.
Als erwachsenen Mensch kann man es selber entscheiden, aber wir wurden doch alle zumindest darauf vorbereitet.
Eine andere Sache, die mir bei dem Thema oft auf die Nerven geht, ist die Arroganz mancher Keinfernseherbesitzer: "Oh ein Fernsseher, des macht doch bloss dumm, wir haben keinen.". Das sind aber auch immer diejenigen, die am Tisch oder an einem Spielabend ständig mit ihren Smartphones rumspielen. Ich frage mich dann, wer der Dumme, Doofe, besser Erzogene ist?

Ich habe nichts gegen Menschen, die keinen Fernseher haben. Wir laden gerne Freunde ein um ein Spiel, den oder jenen Film anzuschauen. Ich verabscheue aber die Hypokrisie.